Vermutlich hat die Stelle aus dem 1. Buch Mose, Kapitel 11 Yuliana Gorkorov inspiriert, ihr faszinierendes Projekt Babel 2014 zu taufen. Das und ihr starkes Interesse für den Ursprung unserer Schrift beziehungsweise unserer phonetischen Alphabete. Yuliana Gorkorov ist selbst ein Sprachtalent. Mehrsprachig aufgewachsen, spricht sie Hebräisch, Russisch, Englisch, Deutsch und hat Grundkenntnisse in Arabisch – natürlich kann sie erstere schreiben und lesen.
Yuliana Gorkorov
Kommunikationsdesignerin (Essen)
Jeder von uns hat sicher schon mal davon geträumt, mehrsprachig zu sein. Zwei- oder gar dreisprachig sind vermutlich die meisten der Besucher des Vortrags und das ist schon viel wert. Oft bewegt sich diese Zwei- oder Dreisprachigkeit innerhalb eines Schriftsystems, hierzulande meist basierend auf dem lateinischen Alphabet. Sieht man beispielsweise als Deutschsprachiger kyrillische Schriftzeichen, kann man hier und da noch eine Verwandtschaft erkennen. Versucht man aber hebräische oder gar arabische Schriftzeichen zu erraten, tappt man in entgegengesetzter Richtung vokalsuchend im Dunkeln. Yuliana Gorkorov jedoch hat die ehrgeizige Idee dies zu ändern – Sie will eine einheitliche Schriftsystematik schaffen.
BABEL 2014
Das Projekt BABEL2014, das mit dem silbernen ADC-Nachwuchsnagel ausgezeichnet wurde, ermöglicht einen „Übergang“ zwischen den Alphabeten. Genauer: zwischen dem lateinischen, kyrillischen, hebräischen und arabischen Alphabet.Mit einem kurzen Exkurs zu Schriftsystemen der Phöniziern, 3.000 Jahre Schriftgeschichte, Paleo Hebräisch u.v.m. ermöglicht sie ihren Zuhörern einen Überblick über die historischen Hintergründe. Denn nur wer weiß, dass unser heutiger Buchstabe „A“ seinen Ursprung in der Form des Kalbskopfs hat, kann den Gemeinsamkeiten der vier phonetischen Alphabete wirklich auf den Grund gehen.
Ausgehend von diesem Wissen und durch viele Experimente hat Yuliana Gorkorov ein Zeichensystem entwickelt, das jedes Zeichen mit gleichen Lauten in den vier Alphabeten vereinheitlicht. Daraus entstand ein System mit gemeinsamen Formen für die verschiedenen Sprachen, die optisch aus der historischen Ableitung aller vier gleichen phonetischen Laute resultieren. Fragt man sie, was ihr bei diesem Projekt persönlich wichtig ist, so legt sie besonderen Wert darauf, dass sie dem Betrachter die Angst vor dem Fremden, dem Unverständlichen, gar Rätselhaften der jeweils anderen Schriftzeichen nehmen möchte.
Sehr charmant belegt sie ihre Entwicklung an einigen internationalen Wörtern. Und da sitz man nun im Publikum and erkennt auf einmal das Wort „Radio“ auf arabisch, Wahnsinn, es funktioniert! – ein wenig flexibel muss man jedoch sein, denn auf arabisch wird das Wort „Radiu“ geschrieben, weil es kein „o“ gibt. Während weitere Beispiele folgen, wird man den Gedanken nicht los, dass diese Idee von einem gemeinsamen Schriftsystem eine sinnvolle Ergänzung zu den bereits bestehenden, internationalen Piktogrammen sein könnte. Yulianas Projekt könnte ein Ansatz zu einer völlig neuen Art der Völkerverständigung sein.
Tollkühne Gemeinsamkeiten
Das Finden von Gemeinsamkeiten – sei es in der Sprache, Traditionen oder bei Bräuchen – tragen zu einer offeneren Gesellschaft und Weltanschauung bei. Bislang hat die kulturelle Annäherung in Yulianas Schriftsystem eher gestischen Charakter. Gegenseitiges Verständnis zu erzeugen, ist eben kein leichtes Unterfangen. Aber es ist es auf jeden Fall wert. Der Turmbau zu Babel war tollkühn, Projekt Babel2014 ist zukunftsorientiert.
lh