Emil Schult: Die kosmische Komponente und guter Rat

Die elektronische Musik und die Kunst haben in der Zeit vom Nachkrieg bis heute eine Tür in eine neue Welt geöffnet, so Schult, durch die wir „vielleicht eine Chance für die Zukunft haben“, und, da ist er optimistisch, „das sieht sehr gut aus“. Das sei wie eine Wurzel, eine „Root“ oder ein Samenkorn, das sich 3D-mäßig entwickelt habe.


Foto © Gerhard Kassner

Sie ist ein Model und sie sieht gut aus – wer kennt das Lied nicht? Moderatorin Simone Wolf intoniert es kurz, um Emil Schult vorzustellen. Der Beuys-Schüler hat mit Kraftwerk zusammengearbeitet und auch sonst spannende Sachen gemacht.

Synthetische Klänge sind für ihn „der Knackpunkt der Musik“, sagt Schult, bedankt sich bei Jürgen Siebert und Franziska Parschau für die Einladung und möchte nun den Bogen für uns spannen von 1947 – seinem Geburtsjahr – bis heute.

Die elektronische Musik und die Kunst haben in der Zeit vom Nachkrieg bis heute eine Tür in eine neue Welt geöffnet, so Schult, durch die wir „vielleicht eine Chance für die Zukunft haben“, und, da ist er optimistisch, „das sieht sehr gut aus“. Das sei wie eine Wurzel, eine „Root“ oder ein Samenkorn, das sich 3D-mäßig entwickelt habe. Eine weitere von Schults Wurzeln liegt bei seinem Lehrer Joseph Beuys und dessen Begriff von der sozialen Plastik: Damit sei nicht die Skulptur vor dem SPD-Gebäude gemeint, sondern die Beziehung zwischen Menschen, und zwar nicht bilateral, sondern multilateral gedacht. Soweit die Kurzvorstellung.

Die kosmische Komponente

Emil Schult verknüpft in seinem Denken und in seiner künstlerischen Arbeit die Bereiche Kunst, Musik, Technik, Wissenschaft, Politik, Religion – „und eine ganz wichtige Sache noch, eine kosmische Komponente“, auf die er im Vorlauf seines Vortrags noch ein paar Mal eingehen werde.

Er hat seine grafische Arbeit der letzten 50 Jahre durchgeschaut und einiges auch an „Typologie“ gemacht, wie er witzigerweise sagt, statt Typografie – und beides passt. Das könnte natürlich nicht „mit den Mainstream-Sachen, die wir hier gesehen haben, mithalten“.

Spätestens da hat Schult, Senior-Dandy von hagerer Gestalt und höflichem Gestus, das Publikum voll auf seiner Seite.

Solidität und Handwerk

Immer wieder nimmt er Bezug auf Menschen und Arbeiten, die er hier auf der TYPO gesehen hat. Der Vortrag/Film von Gerrit Noordzij hat ihm sehr gefallen. Da möchte er weitermachen, „mit dieser Einfachheit“ und dem Handwerk. Das habe er auch gesehen „bei den jungen Leuten“ – bei den Studierenden der Burg Giebichenstein beispielsweise, da müsse man sich gar keine Sorgen machen, da sei „eine Solidität“, und „auch noch ein bisschen Handwerk, das lohnt sich!“

Künstler werden ja oft als „Kritiker der Wahrheit” wahrgenommen, „ich werde versuchen das zu erklären“. Er versuche. immer eine Ethik mit einzuschließen: „Ethik bedeutet für mich“, und hier hätten wir wieder den Bezug zum Konferenzthema, „verwurzelt zu sein mit allen Dingen, mit der Welt, den Menschen, den Tieren, der Landschaft“.

in Emil Schults Geburtsjahr 1947 wird in llinois der erste Transistor erfunden. Von hier aus sieht er Beeinflussungspunkte bis heute und hat das malerisch sowohl ergründet als auch begründet. Die äußeren Ästhetiken waren nicht unbedingt immer von Schönheit geprägt: „In der Zeit, wo ich aufgewachsen bin, waren wir mit diesen Dingen hier belastet, Sütterlinschrift und der dunklen Seite der Geschichte.“ Zum Glück war sein Vater Zeichner und es gab für den jungen Schult und seine künstlerischen Neigungen zumindest Buchstabenschablonen: „Wir waren arm in der Nachkriegszeit, aber sehr kreativ, und haben sehr viel gebastelt“. Mit 10, 12 Jahren hat er „in einem Kursus“ Transistorradios gebaut. Er zeigt uns Werbeanzeigen zum Beispiel für einen Transistor von 1960, „schauen Sie mal, wie humorlos das dargestellt ist“. Er verdeutlicht, was ihn erschüttert: „Hier wird das Hören und das Sehen beworben. Das sind die beiden großen Metasprachen der Erde, die alle Menschen verstehen“. Diese weiterzubringen sei natürlich Aufgabe der Kunst und der Musik.

„Eine total optimistisch über-designte Angelegen­heit, es war nicht ein Funken Ökologie da drin.“

Futurama

Schult hatte weiterhin Glück. In den 60ern konnte er ein Jahr in Amerika verbringen. Er saugt alles auf an visuellen Einflüssen: Werbung in 3D, die Ziffern auf Kreditkarten (bis heute gleich), die Weltausstellung 1964 in New York, die mit „Futurama“ Bezug nimmt auf  den General-Motors-Pavillon der Weltausstellung 1939 in New York, der zeigte, wie man sich die Welt der Zukunft vorstellte. Zum ersten Mal kamen elektronische Musik und Zukunftsszenarien zusammen, lebhaft imaginiert und illustriert: utopische Stadtlandschaften, futuristische Szenarien, fliegende Autos. Na ja, „es kam dann doch ein bisschen anders“, kommentiert Schult trocken. Doch in den 60ern hatte der Komponist Raymond Scott einen riesigen Atelierraum voller Elektronik („das hat heute jeder auf dem iPAD“), von General Motors bezahlt. Die ganze Weltausstellung war laut Schult „eine total optimistisch über-designte Angelegenheit, es war nicht ein Funken Ökologie da drin“. Ihm jedenfalls „wurde langsam klar, dass die elektronische Musik das Vehikel der Science Fiction, des Kosmischen war“.

Tempel und Computer-Chips

Der utopistische Optimismus hatSchults künstlerischen Werdegang geprägt. Seine Zeichnungen von Transistor-Platinen, kristallin und symmetrisch, erinnern an Grundrisse von Tempeln oder Schneeflockenstrukturen, an die symmetrischen Bilder in Kaleidoskopen, chinesische Piktogramme oder „das Knochengerüst einer Schildkröte“. Er beschäftigt sich seit einer Weile damit, die Geschichte der Mikroelektronik festzuhalten in einer Serie von Gemälden. Diese Hinterglasmalerei auch mit Gold und Silber erlaubt ihm eine besondere, präzise Arbeit. Schult zeigt darin auf, dass wir eine kollektive Ikonografie in uns tragen: „Davon kann der Mensch sich nicht lösen“. Deshalb sehen Computer-Chips aus wie die Grundrisse antiker Tempelanlagen.

Emil Schult

Emil Schult

Emil Schult, born in Dessau in 1946, studied at the Art Academy in Düsseldorf under Diter Rot and was a master student of Joseph Beuys and Gerhard Richter. This was followed by many years of close cooperation with the band Kraftwerk. Schult runs a studio in Viersen for free art and design.

Aufgabe des Künstlers

Was also sei die Aufgabe des Künstlers? Publikumsfrage: „Der Bäcker macht Brot, der Schornsteinfeger macht den Schornstein sauber, und der Künstler macht was?“ Der Künstler beschäftigt sich mit der Sehweise der Menschen. „Und jetzt überlegen Sie mal: Wie oft schauen Sie auf Ihr Handy, Ihren Computer, in den Fernseher, andere Bildschirme, Schaufenster?“ Immer ist man dabei von den begehrten Objekten, von dem, man was man betrachtet, durch einer Glasscheibe getrennt. „Wir müssen es einfach mal wahrnehmen und uns auch darin zurechtfinden.“ Hier liegt offenbar ein Bezug für ihn und seine Hinterglasmalerei.

Natürlich erinnert sich Schult auch daran, „als zum ersten Mal Buchstaben auf den Bildschirmen erschienen, diese kleinen grünen, auf Schwarz, und es war grausam“. Kurz weiter in seiner Historie: Er hat sich für Chinesisch eingeschrieben, Pinselschrift, wie man auf Übungsblättern sieht. Er hat sich damit auseinandergesetzt, dass „leider“ 1968 in Vietnam Krieg war. „Mein Temperament ist auch mit mir durchgegangen, es ist jedenfalls furchtbar entgleist; das Ergebnis war, ich musste die Akademie Münster verlassen und endete an der Akademie Düsseldorf“. Nicht der schlechteste Tausch, wie sich weisen sollte.

Im Bannkreis von Beuys

In Düsseldorf kommt Schult mit dem Grafikkünstler Dieter Roth zusammen und „da lief natürlich auch Beuys herum“. Der fragte irgendwann: „Emil, wann wirst du endlich Professor? Ich habe mich in seinen Bannkreis begeben. Beuys zeichnete sich dadurch aus, dass er eigentlich jünger war als seine Studenten. Und eine ganz große Liebe für die Welt und für die Menschen hatte.“

Das Selbstverständnis, das ihn prägte: Der Künstler solle das Ungesehene sichtbar machen, das Ungehörte hörbar machen. Schult hat „gezeichnet und gezeichnet und gezeichnet“. Großartiger Buchtitel von 1969: „Keiner kann den aufhalten der verschwindet“. Er hat ein Rollerskateboard entworfen „als was Kommerzielles, na ja, immerhin“. Er hat sich die Freiheit genommen, ein Zeichen so zu verändern, dass es eine Fülle von Formen annimmt, er hat untersucht, wann ein Bild zur Schrift und Schrift zu einem Bild wird („Können Sie das nachvollziehen?“) … Jüngere Vertreter solcher Arbeitsweisen sind zum Beispiel Thomas und Martin Poschauko („Die Wahrnehmungsmaschinen“).

Wir sehen ein Schriftbild mit den Wörtern Sex, LSD, Religion, wild verschnörkelt in Rot: „Das macht heute keiner mehr“. Dann kam, wie passend, der „Magic Marker“ auf. „Das war ein Werkzeug, da konnte man nicht nein sagen“ – ebensowenig 1972, als er mit den Gründern der Gruppe Kraftwerk zusammentraf.

Kurz noch mal zu den Chinesen und seiner Begeisterung für deren Kunst, „s0 wie die das gemacht haben, mit Seide, Porzellan usw., die sind ja jetzt auch ganz weit vorne. Da steht uns weiteres in Haus und ich freue mich darauf“. Wir müssten keine Angst haben. Auch wenn die Menschheit sich alle paar Jahre verdoppelt. „Die machen das wunderbar, mit den kleinen Geräten, die sie haben. Das heißt nur, dass wir teilen müssen — das ist ein wichtiges Wort,“ wie wir später noch sehen werden, „dann kommt es darauf an, ob ich teilen, mit-teilen kann oder nicht.“

1972 also Kraftwerk

„Die liebten meine Art, Dinge darzustellen – und die hatten die Musik, die in meinem Kopf war.“ Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Die Ergebnisse sind bekannt. Emil Schult konstatiert, „dass die Ernsthaftigkeit und die Reduziertheit unserer Arbeit so weit gekommen ist“, dass das Gesamtkunstwerk Kraftwerk in großen Museen und Theatern ausgestellt und weitergereicht wird. Er zeigt sich „froh und dankbar“ dafür, ein Teil davon zu sein. Das legendäre Albumcover zu „Autobahn“ von Kraftwerk hat er mit Letraset gestaltet (für die Nachgeborenen: Letraset sind Rubbelbuchstaben aus Klebefolie – damals Kult).

Interface Age, early stage

Schult zeigt Titelseiten damaliger Elektronik-Fachzeitschriften: „Computer Music Journal“ (1976), „Interface Age“ (1978), und „dann ging das los mit den Druckern, schauen Sie sich mal die Reklame an“ (Anzeige aus den späten 70ern). Das mutet uns heute prähistorisch an und ja, das war es: das beginnende elektronische Zeitalter. Schult zeigt die Vorstufe dazu, dass wir heute Tausende von Songs auf dem iPod haben. Er war in vorderster Reihe dabei. 1979 haben im Zentrum für Künstliche Intelligenz in Stanford in einem Raum „so groß wie die Bühne hier sechs Männer programmiert“, um einen einzigen elektronischen Ton zu erzeugen. Der Yamaha Synthesizer und später der Apple Computer begannen, die Welt zu überschwemmen. Heute kann man fragen: „Gibt es noch Dinge, die nicht digitalisiert sind? Gibt es noch Räume, die chipfrei sind?“ Das sei alles so selbstverständlich, dass niemand weiß, wie zum Beispiel der Erfinder des LED heißt – „ich werd’s gleich verraten“.

„Kann man die Wahrheit digitalisieren?“

Ethik und Ästhetik

Erst noch ein wichtiger Punkt: „Kann man die Wahrheit digitalisieren?“ Der Künstler ist erneut gefragt in seiner Funktion als Kritiker der Wahrheit. Massenprodukte sind schön und hier teilt sich die Funktion des Designers: „im Sinne von Dinge gestalten und im Sinne von einen Lehrauftrag haben“. Schult mag den Spruch „kennst du eins, kennst du keins“, und ob jemand Werner Eisslinger kenne? „Er nimmt einfach Sachen und baut da neue Sachen draus“.

In den 90er Jahren „kam die Philosophie dahinter“ und er arbeitet für die Gruppe („Gruppe“, nicht „Band“) LFO aus England, Loops from Outerspace hießen die und er macht das Logo, sowie auch das der Logo Klimakonferenz in Berlin 1995. Parallel hat er sich der (wie man heute sagen würde) Plattform Eurosolar in Bonn angeschlossen, die seit 20 Jahren daran arbeiten, „Solarenergie unter die Menschen zu bekommen“, und nach früherer Ablehnung auf breiter Front sich nun vor Politikeranfragen nicht retten können. Schult hat eine Botschaft an Frau Merkel: „Es gibt kein Endlager“. Er ist von ihr enttäuscht, „weil sie Physikerin ist“ und wissen sollte, „im Kosmos gibt es keinen Ruhepunkt“. Wie solle ein Emblem aussehen, dass Menschen in 20.000 Jahren warnt, dass hier unsichtbare todbringende Strahlen lauern?

Einen festen Stand einnehmen

Sein Fazit: „Wir müssen einen ganz festen Stand nehmen und uns gegen diese Sachen wehren. Das ist Design des Todes. Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Ethik aufrechtzuerhalten, werden wir nicht weiterleben“. Deshalb ist Schult froh „auch über Vegetarismus und veganes Leben. Ich denke, das ist eine gute Richtung“.

Und übrigens war es Nick Holonyak, der das LED erfunden hat. Und Holonyak war ein Schüler des Erfinders des Transistors. 2010 wurde Emil Schult eingeladen nach USA, um 50 Jahre LED zu feiern, und durfte Nick Holonyak treffen. Er zeigt ein Foto des alten Herrn mit einer kleinen Dose, darin „das erste LSD“ – Publikum lacht schallend los – „nein, LED natürlich!“ Jedenfalls sei Nick jetzt 80 Jahre alt und ein „so wunderbarer Mensch, dass ich mich jedes Mal freue, wenn ich ihn sehe.“ Und dann waren da noch andere Gelehrte, zum Beispiel ein Professor aus England, der sprach über Quantencomputer und wie schnell sich das Wissen der Menschen verdoppelt.

„Das ist eigentlich so im Großen und Ganzen, was ich sagen wollte,“ sagt Emil Schult.

„Ich hatte schon viel vorweggenommen, aber eines möchte ich noch mal sagen. Die Essenz dieser ganzen Sache und unserer Arbeit ist: mitzuteilen und zu teilen.“

Was für ein wunderbares Schlusswort – und Leitmotiv. Für diese ganze Sache.

 

Text — Sonja Knecht — Director Text bei Edenspiekermann.

PS: Mehr über sein Leben und Wirken erfahren Sie auf Emil Schults Website, im Sprecher-Porträt der TYPO Berlin und auf Wikipedia.