Rainer Erich Scheichelbauer: Yes, But Can OpenType Do This?

Klipp und klar: OpenType-Funktionen sind vergnüglich, politisch und unbesiegbare Spielpartner! Liebe Nutzerinnen und Nutzer, es ist an der Zeit, OpenType-Funktionen ernst zu nehmen.

© Sebastian Weiß / Monotype © Sebastian Weiß / Monotype

Bühne frei für den quirligen Redner. Ein Multi-Talent, abgeschlossenes Studium in Philosophie, Fotografie und Niederlandistik. Er zeichnet und gestaltet Comics, lehrt „Type design“ und Typografie an einer Kunsthochschule, arbeitet als Type-Designer oder „Digital Punch Cutter“ bei Schriftlabor, ist seit 2012 Mitglied von Glyphs, schreibt Artikel, übersetzt gelegentlich Bücher o. Ä. vom Niederländischen ins Deutsche – und noch so vieles mehr. Das Potpourri an Disziplinen merke ich dem gebürtigen Wiener an. Langeweile taucht bei seinem Vortrag ganz bestimmt nicht auf. Und seine Leidenschaft für „Type design“ und OpenType-Funktionen ist ansteckend.

Scheichelbauer eröffnet den Talk, plötzlich ertönt ein Klatschen. Er reagiert selbstironisch und bestätigt erfreut: „Danke Mutti!“ Ob am Ende nicht nur Mutti klatschen wird?

Zunächst klären wir den Namen

Es heißt nicht Schmeichelbauer mit „m“. Und ja, der Nachname sei recht lang. Aber es ist de facto nicht der längste ausgeschriebene Name, der ihm bei einer Designkonferenz wie der TYPO Berlin unter die Augen kam. Er grüßt herzlich Kollegin Hoernschemeyer, die er vor kurzem bei einer der vielen Konferenzen kennengelernt hat.

Scheichelbauer beginnt zu vergleichen: Nun gut, die Anzahl der Buchstaben sei identisch, 14 insgesamt. Jetzt packt ihn der Ehrgeiz, der Vergleich geht weiter. Ausgeschrieben ist der Nachname der Kollegin zwei Millimeter länger – eins zu null für den Namen Hoernschemeyer. Doch der Verlierer nimmt es sportlich. Ein Beweisfoto gibt es natürlich auch noch, es erscheint unverzüglich in der Präsentation und zeigt Frau Hoernschemeyer grinsend, Herrn Scheichelbauer leider nicht. Die Begegnung wird ihn wohl noch länger begleiten. Denn ausgerechnet für diese kleinen Details empfindet er eine große Empathie. Er liebt die Details, sie begeistern ihn; und er begeistert mit dieser Euphorie sein Publikum.

© Sebastian Weiß / Monotype

Es folgt eine Ode an OpenType-Funktionen

Ist es sein temperamentvoller Redefluss? Die eigens erzeugten Töne und Klänge während er OpenType-Funktionen präsentiert? (Selten habe ich einen so guten Geräuschemacher auf der Bühne bei einer TYPO Berlin erlebt.) Denn selbst einem Type-Design-Laien wie mir fällt das Zuhören nicht schwer.

Scheichelbauer erklärt OpenType-Funktionen kurz und prägnant, ohne in ein Kauderwelsch zu driften oder im Fachjargon zu ersticken. Nebenbei präsentiert er nicht nur eigens entwickelte Schriften, sondern auch die von Freunden, Kollegen und (ehemaligen) Studenten. Er ist stolz, zu zeigen, was junge Talente können. Er hat Spaß dabei und wertschätzt ihr Schaffen.


Während der Präsentation bleiben seine Thesen stets dieselben:

OpenType ist Spiel.
OpenType ist Spaß.
OpenType ist eine (politische) Aussage.
– Und auf keinen Fall überflüssig und langweilig!


Am besten verkörpert seine eigene „Erdo–Gone“-Schrift die oben angeführten Aussagen. 2013 fand eine Type-design-Konferenz in Istanbul statt, inmitten der Demonstrationen rund um den Taksim-Platz. Die politische Anspannung war überall zu spüren. Scheichelbauer entdeckte zufällig ein Graffiti in den Straßen Istanbuls an einer Wand und wurde dadurch zu seiner oben genannten Schrift inspiriert.
Scheichelbauer präsentiert seine Schrift. © Sebastian Weiß / Monotype
Seine politische Meinung zwang ihn förmlich, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Es entstand eine Schrift mit integrierten obligatorischen Ligaturen. Wenn der Nutzer oder die Nutzerin den türkischen Präsidenten Erdogan eingibt, ersetzt die OpenType-Funktion automatisch den Namen mit „Erdo-gone“. Selbst Tippfehler werden dementsprechend korrigiert. Wird das Substantiv Gezi bzw. Gezi-Park getippt, werden anliegende Buchstaben wortwörtlich zur Seite gedrängt. Der Park schafft sich symbolisch Platz im Text. Verschwitzt blickt Scheichelbauer in die Runde und fragt, ob wir uns vorstellen könnten, dass auch bald Type-Designer auf der Anklagebank säßen? Wenn schon ein Komiker an der Reihe sei, wer folge als nächstes?
Bei all dem Spiel und Spaß und der ganzen Leichtfüßigkeit liegt auch mir eine Frage auf der Zunge, die aus dem Publikum am Ende ertönt: Warum? Scheichelbauer fällt die Antwort nicht schwer: Es ist der pure Spaß! Scheichelbauer kann sich für „Type design“ stundenlang begeistern. Jede noch so marginale Änderung erfüllt ihn. Gutes zu tun, das Freude bereitet, ist ihm die Arbeit wert. Denn nicht nur für die elend langen Programmierlisten und Dateien, die eine einfach scheinende OpenType-Funktion benötigt, hat der Redner den Applaus zum Schluss verdient. Und ich garantiere, es hat nicht nur Mutti geklatscht!

Written by Anneliese Rethfeldt •

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Rainer Erich Scheichelbauer

Type Designer (Vienna)

Rainer Erich (‘Eric’) Scheichelbauer was born in Vienna, and studied photography, philosophy and Dutch. Today, he creates and produces typefaces, gives type design workshops, translates Dutch books on typography into German, and writes articles and Python scripts. He joined the Glyphs team in 2012, and has been writing tutorials and the handbook ever since.