Spannend genug. Aber Hofmann hat einen Anspruch: Sie möchte Design für die Menschen machen und mit ihrem Design den Menschen helfen. Für eine Designerin mit diesem Ziel ist es selbstverständlich, auf das, was in der Welt passiert, zu reagieren – wenn nötig sofort und ohne lange zu überlegen. Und so eröffnet sie ihren Vortrag mit einem Projekt, das eigentlich nicht geplant war. Es hat sich völlig unerwartet aufgedrängt und konnte nicht einfach aufgeschoben werden. Es musste so schnell wie möglich umgesetzt werden. Einen Auftraggeber dafür gab es nicht.
Helfen, wo Hilfe gefragt ist
Im Spätsommer und Herbst des vergangenen Jahres erreichten täglich tausende Menschen die österreichisch-ungarische Grenze und wenig später, das ca. 80 Kilometer entfernte Wien. Es waren Menschen, die in ihrer Heimat aus bekannten Gründen keine andere Möglichkeit mehr sahen, als diese zu verlassen. Teilweise zu Fuß, größtenteils mittellos und immer in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Anne Hofmann und ihre Kolleginnen wollten helfen. Sie wandten sich an eine der vielen Erstaufnahmestellen und fragten, was sie tun könnten.
Anne Hofmann
Graphic Designer (Vienna)
Schnell wurde klar: Die Kommunikation zwischen Helfenden und Schutzsuchenden stellt ein großes Problem dar. Notdürftig wurde sich bis jetzt mit Händen und Füßen und mit Zeichnungen beholfen. Aber es bedurfte eines Systems, das nicht von den Zeichenkünsten der jeweiligen Helfenden und Schutzsuchenden abhängig war. Ein System strukturierter Erstinformationen, das auch ohne Dolmetscher funktioniert. Ein System, das Orientierung und somit Sicherheit bietet. Mit einem Blick mussten die Geflüchteten Antworten auf die dringlichsten Fragen finden:
Wo bin ich?
Bin ich in Sicherheit?
Wo erhalte ich Hilfe?
Wo kann ich essen und schlafen?
First Aid Kit
Die Kolleginnen vom buero bauer lösten diese Aufgabe durch eine Reihe von Piktogrammen. Diese sind untereinander kombinierbar und versuchen subtil aber effizient auf kulturelle Eigenheiten und Unterschiede einzugehen.
Dass dies nicht immer leicht ist, verdeutlichen zwei Beispiele:Die Gestalterinnen entschieden sich dafür, auf dem Piktogramm für Erste Hilfe aus Respekt an erster Stelle den Roten Halbmond und an zweiter das Rote Kreuz abzubilden. Was anfangs jedoch nicht bedacht wurde: Die Leserichtung ist im Arabischen anders als im Deutschen und so würde das Kreuz erst recht vor dem Halbmond gelesen werden. Also doch das Kreuz links und den Halbmond rechts!
Das zweite Beispiel dreht sich um die Frage „Kopftuch – ja oder nein?“. Tragen Frauen auf den Piktogrammen Kopftücher oder nicht. Die Lösung ist eine Frau, deren Frisur auch als Kopftuch gelesen werden kann.
Am Ende des Projekts entstand ein Open-Source-Paket, das zum freien Download zur Verfügung gestellt wird. Dieses First Aid Kit wurde mittlerweile vom Österreichischen Roten Kreuz zum Standard in allen österreichischen Erstaufnahmestellen erklärt und findet auch international Anwendung.
Zentrum für Inklusion und Sonderpädagogik
Als zweites Projekt stellt Anne Hofmann das Leitsystem für sehbehinderte und blinde Menschen vor, das sie für eine sonderpädagogische Schule für Kinder von sechs bis 14 Jahren entwickelt hat.
Sie erörtert die gesetzliche Situation bezüglich Barrierefreiheit, stellt die Frage, welche Formen von Beeinträchtigungen es überhaupt gibt, was diese für die Betroffenen konkret bedeuten, wo sich die Hürden im Alltag befinden. Zur Beantwortung dieser Fragen bedarf es eines hohen Maßes an Aufmerksamkeit, Sensibilität und Einfühlungsvermögen.
Es entstand ein differenziertes Orientierungssystem, das unterschiedlichen Anforderungen gerecht wird: es schafft Orientierung und Barrierefreiheit, es ist international verständlich, es ist flexibel und modular und natürlich fröhlich und bunt. Jede Schulstufe erhielt ihre Farbe, jede Klasse ihr Zeichen, jedes Stockwerk sein Muster und das Gebäude insgesamt somit eine nachvollziehbare Struktur.
WU Wien
Als letztes Projekt präsentiert Anne Hofmann ein umfangreiches Orientierungssystem, das sie mit dem buero bauer für den Campus der Wirtschaftsuniversität Wien entwickelt hat und erzählt von den Steinen, die Designern vom Gesetzgeber oftmals in den Weg gelegt werden. Mitunter müsse getrickst, viel diskutiert und harte Überzeugungsarbeit geleistet werden.
Sie schließt mit dem programmatischen Satz: „Mich und meine Kolleginnen befriedigt es extrem, Menschen zu helfen.“
Written by Stefan Pabst •