Robert Koall: Die Radikalisierung der Sprache

Im kalten Pegida-Winter 2015 zog es Robert Koall auf die Straße. Der Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden mischte sich sowohl unter die Pegidisten als auch unter die Gegendemonstranten. Im Gespräch mit Johannes Erler beschrieb er die Herausforderung, auf die immer gleichen Anfeindungen moderat zu reagieren.

Typo Berlin 2016 "Beyond Design"© Sebastian Weiß (Monotype)

Dresden

Robert Koall wechselt im Herbst dieses Jahres ans Düsseldorfer Schauspielhaus. Es wird spannend zu sehen, wer die Diskussion über Toleranz in Dresden dann moderieren soll. Koall hat mit allen Seiten geredet. Mit Zuschauern, Rednern und Organisatoren von Pegida, mit den Gegendemonstranten und mit mehr oder weniger unbeteiligten Dresdenern. Leicht war das mit keiner der Gruppen. Zu manchen brach er den Kontakt ganz ab, weil es ihm unmöglich war, den immer absurderen konspirativen Verschwörungstheorien von selbst ernannten Reichsbürgern moderat zu begegnen. Moderat begegnen bedeutet in diesem Fall: „Ich denke, du bist ein Nazi, sage es dir aber nicht.“

Radikale Sprache: Vergemeinschaftung und Kaufargument

Sprache ist für das Theater elementar. Und auch, wenn das unerträglich pathetisch klingt: Sprache macht etwas mit den Menschen. Koall schaffte es, zusammen mit dem Ensemble des Staatsschauspiels Dresden und einem Dresdener Bürgerchor, so etwas wie eine lokale Vergemeinschaftung innerhalb des Theatersaals herbeizuführen. Nicht, weil das Publikum bei den Aufführungen homogenen linksliberal war, sondern weil es dem Publikum durch das Stück leichter gemacht wurde, sich zu solidarisieren.


Speaker Pic

Robert Koall

Autor, Chefdramaturg (Dresden)

Robert Koall ist Theaterdramaturg und Autor. Zur Zeit noch Chefdramaturg am Staatsschauspiel Dresden, übernimmt er die gleiche Position ab Herbst diesen Jahres am Düsseldorfer Schauspielhaus. Von ihm stammt unter anderem die Bühnenfassung von Wolfgang Herrndorfs berühmtem Roman »Tschick«, das zu einem der erfolgreichsten Theaterstücke der vergangenen Jahre avancierte. Als Autor beschrieb er seine gesellschaftspolitischen Beobachtungen in Dresden in dem Buch »Ein Winter mit Pegida« und zuletzt in dem Sammelband »Mein Kampf gegen Rechts«.

Die Lösch-Inszenierung Graf Öderlands von Max Frisch sprach Menschen aus beiden sich gegenüberliegenden Teilen des sozialen Grabens an. Sowohl die einen, die sich von ihrem gewohnten sozialen Umfeld entfremdet und von der „Lügenpresse“ bedroht fühlen, als auch die anderen, die soziale Werte wie Einigkeit und Recht und Freiheit ernst nehmen, hegemoniale Territoriumsszenarien aber weniger.

„Tic tac toe war gestern. Die Chiffren zum Verkaufen lauten heute: Ficken, Skateboards, Kettensägen.“

Vor einiger Zeit schickte Koall Erler das Video „Deine Mutter“ von SXTN. Bewusst schlechter Rap, Jungs zeigen Skateboardtricks, Mädchen ihre Brüste. Ist das nun der Grund, warum Johannes Erlers Sohn ihn neulich mit „Na du Wichser!“ begrüßte? Nein. Koall macht das Video schlicht ratlos. Nicht wegen der brutalen Direktheit der Sprache, sondern weil Artefakte à la „Ficken, Skateboards, Kettensägen“ zusammen irgendwie falsch am Platz sind, aber am Markt erstaunlich gut weggehen. Quasi die inoffizielle Jubiläumsausgabe zu 20 Jahren „Tic Tac Toe“.

© Sebastian Weiß (Monotype)

Moderate Sprache

Wie begegnet man also radikaler Sprache? Ein Bündnis von Dresdner Unternehmen und der Landespolitik haben zusammen eine Werbekampagne für Toleranz mit Copys veröffentlicht wie: „Aleeke findet Winter drollig. Herr Schwarz heizt ihm die Wohnung mollig.“ Wenn im Gegenzug auf der Pegida-Versammlung zum Jahrestag der Pogromnacht von 1938 die Deutsche Kriegsschuld „offiziell für beendet“ erklärt wird, erscheint die gut gemeinte und prämierte Maßnahme allerhöchstens putzig. Und trotzdem kann man dem immer nachlässigeren Umgang mit Sprache in „unserer“ Gesellschaft nicht einfach mit der gleichen Radikalität begegnen. Koall: „Rot-grün versiffter Linksfaschist, was soll man darauf sagen? Selber!“

„Rot-grün versiffter Linksfaschist, was soll man darauf sagen? Selber!“

Sicher lassen sich Jahrzehnte der politischen Lethargie in Dresden mit keinem Theaterstück der Welt wieder rückgängig machen. Dazu kommt, dass Pegida noch nicht einmal Gebrauch von Sprache machen muss, wenn 25.000 Demonstrationsteilnehmer schweigend durch die engen Dresdener Straßen marschieren.
Aber wenn das Schicksal des Abendlandes jeden öffentlichen und privaten Diskurs in der Stadt überlagert, trägt etwas wie „Graf Öderland / Wir sind das Volk“ dazu bei, dass zumindest die Zuschauergruppen anschließend eine gemeinsame Diskussionsbasis haben.

Beyond Pegida

Wie ist eigentlich Robert Koalls Haltung zum Design? Seine Freude über den Wettkampf zwischen den Spielstätten um das beste visuelle Erscheinungsbild grenzt an eine Liebeserklärung.


Written by Rik Watkinson

SXTN – DEINE MUTTER (UNZENSIERT)
Staatsschauspiel Dresden „Graf Öderland / Wir sind das Volk“
„Du Fotze“: Nazi-Göre pöbelt gegen Merkel
Robert Koall: Dresden – Ein Winter mit Pegida