Kenzi Benabdallah: HARAM TYPE – 30 days of lettering

Futuristisch versaut, voll verstrahlt und dabei äußerst charmant.

Der junge Art Director Kenzi Benabdallah begeistert – angenehm unaufgeregt, mit engagierten Projekten und klugen Ideen. Auf der TYPO 2015 zeigt er das Lettering Projekt HARAM TYPE und die Social-Awareness-Kampagne #FUKUSHIMAWATER.

Er hat eine schöne Präsentation vorbereitet. Für die handgeschriebenen Slides versetzte sich der Art Director in ein 10-jähriges Kind zurück und erklärt gleich zu Beginn, warum diese Strategie für kreatives Denken wichtig ist: „If you’re in the creative industry, you have to be that kid again.“

 

„If you’re in the creative industry, you have to be that kid again.“

Kinder können keine Risiken abschätzen und sich daher angstfrei den Dingen widmen. Ein bisschen Kind sein, zur kreativen Selbstbefreiung. Dabei sind seine Ideen alles andere als kindisch (oder gar albern), sondern von einer subtilen Intelligenz geprägt, die ausgesprochen durchdacht und schlank gestaltet ist.

Kenzi Benabdallah

Kenzi Benabdallah

Art Director (Berlin)

Kenzi Benabdallah is a multidisciplinary Art Director living and working in Berlin, born in Algeria. Being a kid of the digital age, he started to design at the age of 12 in CorelDraw and on his cousins SuperMario-Paint for SNES. His work and conceptual aesthetics constantly surround the believe of being genuine in mind, heart and intent. He had the pleasure of working with brands including Google, CNN and Mercedes-Benz at the agencies HEIMAT Berlin, Jung von Matt and Ogilvy London.

 

Seine Präsentation ist eine willkommene Abwechslung. Er präsentiert Ideen, nicht sich selbst. Einen kurzen Einblick in seinen Werdegang gewährt der smarte, algerisch-stämmige Wahlberliner aber dann doch. An der Miami Ad School in Hamburg lernt der junge Grafikbegeisterte sein Handwerk, entdeckt in London und Melbourne unterschiedliche Kommunikationskulturen und entwickelt sich in Richtung Art Direction, wo Zusammenarbeit und Konzeption im Fokus stehen. Inzwischen macht er Werbung für die ganz Großen. Doch das ist ihm kaum eine Erwähnung wert, denn nebenbei entwickelt der Kreative selbst eine ganze Menge toller Dinge. Schnell wird klar, es geht ihm um die Sache. Er ist hier, um seine selbst initiierten Projekte vorzustellen, die mit schlauem Humor Gesellschaftsthemen sichtbar machen und ein Nachdenken anregen, das sich sehen lassen kann.

 

Futuristisch versaut – HARAM TYPE

 

© KENZIBENABDALLAHHaram Type von Kenzi Benabdallah © Kenzi Benabdallah

Eines dieser Projekte ist HARAM TYPE – 30 days of lettering, das Benabdallah 2014 umgesetzt hat. Soziale Realität beschreibt der Designer hier – na klar – mit Schrift. Der Font, benannt nach dem arabischen Adjektiv ‘haram’ (حرام), das im Islam all jenes bezeichnet, was verboten oder fluchbeladen ist und sich mit dem deutschen Wort ‘Tabu’ am besten übersetzen lässt, ist von besonderem Charakter. Für jeden Tag des Fastenmonats Ramadan hat Benabdallah einen Buchstaben entwickelt, der ein Verbot der muslimischen Lebensgestaltung repräsentiert.

 

Kurz erklärt er ausgewählte Beispiele und gibt kulturgeschichtliche Einblicke. Das ‘A’ symbolisiert beispielsweise das Verbot von Rauschmitteln, ‘Khmar’ (خمر). Nach islamischem Glauben vernebeln Rauschmittel den Geist und führen dazu, dass man nicht mehr man selbst ist. Deshalb sind sie verboten. Passend dazu hat er eine Weinflasche gestaltet. A, B, C, D, E, F, G, usw. Die Buchstaben stehen für Haut zeigen; Marihuana rauchen; an Astrologie glauben; Schweinefleisch essen; Schmuck tragende Männer; usw. Das ‘K’ steht für das verbotene Glücksspiel und im Publikum haben einige Zuhörer das große Los gezogen. Unter ihrem Sitz finden die Gewinner einen Zettel, der ihnen ein Mitbringsel des Designers einbringt. Die, mit der Schrift bedruckten, Goodie-Bags sind gefüllt mit den verbotenen Produkten, die Benabdallah begleitend gestaltet hat. Unter anderem eben die Weinflasche, Dosenschweinefleisch und eine Schachtel Zigaretten.

 

Gestalterisch hat sich der Designer, bei all den Restriktionen, volle Freiheit erlaubt und sich von Groß- und Kleinschreibung oder bestimmten Buchstabenzwischenräumen nicht einschränken lassen. Haram Type ist eine Linear-Grotesk, die piktografische Elemente integriert und die einzelnen Lettern wie kleine Icons wirken lässt, die offen für Interpretation bleiben. Die Schrift erinnert an den brasilianischen Street-Art-Stil des Pixação und macht Spaß, weil sie – während viel verboten ist – grafisch alles darf.

 

Voll verstrahlt – #FUKUSHIMAWATER

 

Ein weiteres Projekt ist die Social-Awareness-Kampage #FUKUSHIMAWATER, die Kenzi Benabdallah gemeinsam mit Stefan Wittemann und Florian Tscharf im März 2015 initiiert hat – vier Jahre nach der furchtbaren Reaktorkatastrophe in Fukushima.

 


Benabdallah und sein Kreativteam entwickelten ein Kampagnen-Komplettprogramm, bestehend aus Produkt, Ad, Branding, Spot und einer Website mit Informationen und einem Online-Shop für Fukushima Water, ein revolutionärer Energydrink, der mit dem radioaktiven Isotop Ceasium-137 angereichert, nicht nur im Dunkel leuchtet, sondern ein ganz neues Kapitel im Bereich der Functional Foods aufschlägt.

 

Und ja, das Ganze ist natürlich ein Fake, der – wie gewünscht – mit entsprechenden WTF-Reaktionen und Erregungswellen Social-Media-Kanäle und die internationale Presse fluten ließ.

Anschließend kreierte das Trio eine, ebenso gefälschte, Chanel-7-Dokumentation, die anhand des vermeintlichen Hype-Getränks noch einmal auf die Nuklearkatastrophe aufmerksam macht. Die Intention ist, das Thema wieder ins Gespräch zu bringen, weil es inzwischen aus der Medienwirklichkeit verschwunden ist, aber in der Realität nach wie vor verheerende Probleme verursacht. Die Message ist klar: „Stop Spreading #fukushimawater by leaking the message.“

 

„Fear less and do it with good intention.“


Die Herausforderung bei derartigen Projekten liege darin, den richtigen Ton zu finden, gibt der Kommunikationsprofi Benabdallah am Ende seines Vortrags zu bedenken. Die Radikalität, die notwendig ist, um Aufmerksamkeit zu generieren und den achtsamen Umgang mit den Emotionen der Betroffenen in Einklang zu bringen, sei ein delikates Unterfangen. Die Angst davor, die Gefühle anderer zu verletzten, haben ihn zum Beispiel vor der Veröffentlichung von Haram Type zunächst zögern lassen. Und so kommt er noch einmal auf den Beginn seines Vortrages zu sprechen und fügt seinem Aufruf zur kindlichen Angstfreiheit eine ganz erwachsene Intention hinzu: „Fear less and do it with good intention.“

 

 

www.kenzibenabdallah.com
AB