Ein Franzose in Berlin
Erster Typotag, 15 Uhr: Stephen Coles kündigt Jean François Porchez an:
Achtung, dieser Mann spricht ein Englisch, wie es kaum ein anderer spricht! Und Achtung an die Übersetzer: Es wird eine Herausforderung werden …
Jean François Porchez verspricht, seinen charakteristischen Akzent zu kultivieren.
Er beginnt seinen Vortrag mit dem groß projizierten Wort „Words“. Wörter sind unser Mittel, Gedanken auszudrücken – die Gedanken in Sprache zu übersetzen. Und Design ist die visuelle Übersetzung von Gedanken: „thinking made visual“ nach Saul Bass.
Visuelle Freude unterwegs
Jean François Porchez’ Ziel in all seinen Projekten ist es, eine klare visuelle Identität zu entwickeln und damit einen Charakter in Form einer Schrift greifbar zu machen.
1996 tat er dies für die Métro in Paris. Porchez strebte nicht nur eine hohe Lesbarkeit der Schrift an, es sollte auch eine Freude sein, sie täglich auf dem Weg zur Arbeit zu sehen. Als Inspiration für die Gestaltung dienten ihm die „Johnston” sowie Groteskschriften allgemein. Unterdessen hat er die Schriftfamilie weiter ausgebaut und sie wird noch breiter genutzt, zum Beispiel auf Stadtplänen. „Parisine“ wurde unterdessen zum visuellen Symbol für Paris.
Der nächste Auftrag ließ nicht lange auf sich warten und war wieder im Dienste des öffentlichen Verkehrs in Frankreich: Porchez durfte nun eine neue Schrift für die LED-Beschriftung der Busse entwickeln. Viele Schwierigkeiten sind damit verbunden: Auflösung, Lesedistanz, Schrift in Bewegung, sich permanent ändernde Lichtverhältnisse, lange Stationsnamen und – das Schlimmste – sie alle beginnen gleich: entweder mit „gare de …“ oder mit „porte de …“. Da die Buslinien immer in großer Schrift angeschlagen sind, war jeweils nur der Anfang dieser langen Namen zu lesen, also „gare de …“ oder „porte de …“. Aber welcher „gare“? Dieses Problem hätte Porchez wahnsinnig machen können – aber er hatte das Glück, es lösen zu dürfen.
Die neue Schrift ist schmaler als die bisher eingesetzte und sie hat offenere Formen. Die Lesbarkeit wurde deutlich erhöht. Trotzdem gibt sich Porchez nicht zufrieden mit der Tatsache, dass „Leute, die keine Typedesigner sind, nicht wissen, was gut für sie ist“. Er befragt sie und taucht sogar ins Netz der „Busophilen“ ein: Ganze Foren werden gefüllt mit Diskussionen und Fotos von Bussen! Was haben sie über diese Busse zu sagen?
Es gibt keinen Unterschied zwischen diesem und jenem Bus! Für manche Leute schon, so wie es für manche Leute große Unterschiede zwischen Buchstabenformen gibt. Lange haben die „Busophilen” die Veränderung der Beschriftung diskutiert. Die Auflösung wurde verändert, dachten sie – nein. Es sind neue LEDs – nein. Es ist die Schrift … Obwohl sie die Verbesserung sahen, dauerte es sehr lange, bis sie bemerkten, was verändert worden war.Jean François Porchez
Type Designer (Clamart)
Zurück in die Vergangenheit
Dann geht Porchez zurück in der Geschichte: Zu Louis XIV., der eine eigene Schrift entwickeln ließ, die sofort als die Schrift des Königs erkannt werden sollte, unter anderem durch eine Mittelserife am kleinen i.
Er springt zu einer Rundschrift der 1970er, zur Frutiger der 1980er, zu Hollenstein und zieht Parallelen zur Architektur. Schrift hat viele Trends überlebt, so wie die Architektur.
Auch für seine Schriftentwicklungen konsultiert Porchez immer wieder historische Archive, da wir uns selber besser verstehen können, wenn wir unsere Vergangenheit kennen. Er erklärt, wie er Nespresso italienischer aussehen ließ, als die Marke letztendlich ist, warum das Erscheinungsbild von Yves Saint Laurent nach Cassandre und nicht nach Yves Saint Laurent aussah und warum die zahlreichen Kerningpaare für Louis Vuitton eine Tortur waren, die sich gelohnt hat.
Vorhang auf für die Buchstaben
Abschließend rät Jean François Porchez, dass wir uns beim Entwurf über jede Form Gedanken machen. Wir dürfen nicht einfach schöne Buchstaben gestalten, wir müssen uns über ihre Funktion und Geschichte im Klaren sein. Wenn die Schrift ein Schauspieler wäre, was wäre die Rolle, die sie spielen soll? Welchen Charakter soll sie haben? Und wie können wir diesen Charakter in eine Form übersetzen?Porchez gelingt dieses Kunststück wahrscheinlich besser als die Formulierung seiner Gedanken in englischer Sprache – das Zuschauen und -hören ist jedoch in beiden Fällen sehr inspirierend.