Jan Sowa: Avantgarde und die Dialektik des Designs

Was hat Hegel mit Einstein, Duchamp und dessen Ready-made „Fountain“ (ein Pissoir) zu tun? Keine Ahnung? Jan Sowa weiß es – schließlich ist er Soziologe, Philosoph und Design-Kritiker oder, wie er sich selbst nennt „a dialectical materialist cultural theorist“. Nicht zu verwechseln mit Terrorist. Das ist ihm wichtig.

Jan Sowa betritt die Bühne, mit wippendem Gang, lächelnd. Er trägt Brille, Shirt (Hanfprint), schwarze Jeans und Turnschuhe. Statt eines Laptops bringt er Papier mit, sehr viel Papier – ist sein Rede-Manuskript. „Ladies and Gentlemen, dear Friends“ – kurze Pause – dann geht es sofort los.

Jan Sowa spricht über die Dialektik des Designs © Gerhard Kassner (MonotypeJan Sowa spricht über die Dialektik des Designs © Gerhard Kassner (Monotype)

„Jeder ist ein Designer“

Sowa zitiert Karl Marx, er spricht darüber, wie Menschen Dinge erschaffen, die Welt gestalten. Er sagt das nicht einfach so, sondern im generischen Femininum. Dann schiebt er ein Zitat von Viktor Papanek nach: „Jeder ist ein Designer.“ Aber nicht jeder wird dafür bezahlt, ergänzt Sowa ironisch. Geht es also um soziale und ökonomische Aspekte von Design, um Konsum- und Kulturkritik? Das an die Wand geworfene Bild des obdachlosen Mannes, der sich aus einem Einkaufswagen, Decken und Kleidung eine mobile Wohn-Liege gebaut hat, legt das nahe.

„Die moderne Welt fußt auf unserer Fähigkeit, Materialien nach unseren geistigen Vorstellungen zu formen, zu beeinflussen und zu designen.“

Design kann auf zwei Arten genutzt werden: Da gibt es den Hippo-Roller, der dabei hilft Wasser zu transportieren und gleichzeitig vor Landminen schützt. Eine Erfindung, die das Leben von Millionen armer Menschen verbessert – eine Erfindung die einfach ist und effizienter als viele der teuren Hilfskampagnen von Politikern. Design zum Wohle der Menschheit.

Jan Sowa © Gerhard Kassner (Monotype) „Jeder ist ein Designer“ © Gerhard Kassner (Monotype)

Auf der anderen Seite gibt es viele Kreative, die für große Firmen arbeiten – Mc Donald’s, Shell, Walmart, Monsanto und viele andere. Design zum Wohle der Konzerne; die dunkle Seite der Macht. Wobei hell und dunkel, schwarz und weiß, gut und böse keine Kategorien sind, in denen Jan Sawo denkt. Er argumentiert strukturell – nicht moralisch, auch das ist ihm wichtig.

Design, Kunst und Konsumwaren

Um was es ihm eigentlich geht, sagt er, sind die sozialen und kulturellen Funktions- und Wirkweisen von Design. Oder auch von Kunst. Denn da sieht er keinen großen Unterschied. Was ist es, wenn ein kleiner Roboter, mit Farbe Buchstaben auf die Straße sprayt – Kunst oder Design? Schwer zu sagen. Und wenn Gemälde (re)produziert werden, um als Zimmer-Dekoration zu dienen, sind sie dann nicht lediglich Konsumwaren? Auf der anderen Seite können industrielle Konsumwaren seit der Avantgarde zu Kunst umgedeutet werden, wie das Pissoir, besser bekannt als „Fontaine“ von Marcel Duchamp.

„Avantgarde löst die Unterscheidung zwischen dem normalen Alltagsleben und der ästhetischen Kreation auf.“

Kunst und Design stecken im gleichen Dilemma: Beide sind gefangen zwischen zwei scheinbar gegensätzlichen Strömungen. Hipporoller versus McWhatever. Spray-Roboter versus Gemälde aus dem Einrichtungshaus. Es gibt die avantgardistischen Bestrebungen, die soziale Welt auf progressive, emanzipatorische Weise zu formen, einerseits. Und das Drängen des globalen Marktes, alles an die Bedürfnisse des neoliberalen Kapitalismus anzupassen, andererseits. Beide leiten sich aus der Spaltung der Avantgarde ab. Keine der beiden Kräfte kann sich als dominierende durchsetzten, keine der beiden löst sich gänzlich auf. Erst das dialektische Zusammenspiel dieser und die daraus resultierenden Spannungen bilden die wichtigste Eigenart des modernen künstlerischen Schaffens.

Ein bisschen Hegel

Um das zu erklären greift Sowa auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurück. Deutscher Idealismus, aber nur ganz kurz – schließlich ist es kein Vortrag vor akademischem Publikum. Darauf möchte er Rücksicht nehmen. Trotzdem, Jan Sowa hat nach wie vor viele Seiten auf seinem Manuskriptstapel, er hat noch viel vor. Also: Hegels Dialektik in zwei Minuten. Aus These und Antithese (also der Negation der These) entsteht etwas neues, eine neue These, die Synthese. Um das zu veranschaulichen erklärt Sowa, wie die Newtonsche Gravitationstheorie von Einstein zuerst verworfen, aber gleichzeitig in dessen neuer These bewahrt wird. Hegel nennt das „Aufheben“, denn es meint beides, das Bewahren und das Auflösen. Jan Sowa lächelt zufrieden. Jetzt nur noch den Bogen zu Design und der Gesellschaft spannen.

„Politik und Gesellschaft hinken hinterher“

Das eigentliche Problem besteht darin, dass es zwar fundamentale Veränderungen in der ästhetischen Kreation gab – in Richtung Aufheben von Kunst und Alltagsleben – aber keine großen Veränderungen in der Politik, keine im täglichen Leben, das immer noch so aussieht, wie vor 200 Jahren, sagt Sowa: „Aufstehen, zur Arbeit gehen, zurückkommen, schlafen und dann von vorne.“

Die ästhetische Kreation hat ihren Job getan, jetzt sind Gesellschaft und Politik dran, sich zu ändern. Sonst bleibt alles beim Alten, kommt es nicht zur Aufhebung. Und unterdessen bleibt die Avantgarde hartnäckig; weder lebendig, noch tot.

Ende des Vortrags. Stirnrunzeln, Kopfkratzen, nachdenkliche Gesichter – der Blick in die Runde verrät: so einfach ist es dann doch nicht mit Hegel, Einstein und Duchamp. Aber, Sowa will auch gar nicht einfach sein. Es geht ihm nicht um Show, es geht um Erkenntnis.

 

JZ

Jan Sowa

Jan Sowa

Sociologist, Philosopher, Design Critic (Warsaw)

Jan Sowa is a dialectical materialist cultural theorist. He studied literature, philosophy and psychology at the Jagiellonian University in Kraków, Poland and University Paris VIII in Saint-Denis, France. He holds a Ph.D. in sociology and a habilitation in cultural studies. He is Associate Professor at the Chair of Anthropology of Literature and Cultural Studies at the Jagiellonian University and is also associated with Free University Warsaw. He edited and authored several books and published around 100 articles in Poland and abroad. A collection of essays A Joy Forerver: Political Economy of Social Creativity, that he co-edited, including articles by Luc Boltanski, Massimiliano Tomba, Isabelle Graw and Gigi Roggero, is going to appear with MayFly Books (London) later this year. Sowa is currently working on a book exploring links between the twentieth-century artistic and political vanguard movements.