Michael Schirner: Bild-Beschreibungen

Das Leben ist Werbung, Werbung ist Kunst, so die zusammenfassende Einleitung für Michael Schirner, Ikone der Werbegeschichte in Deutschland. Sympathischerweise  macht er zunächst einmal Werbung für seine Frau, die ihn auf die Bühne begleitet: Sie habe auf der Art Cologne „einen Förderpreis gewonnen und, ja, auch ein paar Bilder verkauft“. Die beiden arbeiten zusammen, „wenn es um Werbung geht“. Auf der Bühne der TYPO Hall assistiert sie bei der Präsentationsabfolge: erst Werbung, dann Kunst. Titel des Vortrags ist „Mich gibt es gar nicht“.


Foto © Gerhard Kassner[/caption]

Michael Schirner verweist auf sein Buch „Werbung ist Kunst“, erschienen 1982. Er war 10 Jahre lang Kreativchef der Agentur GGK in Düsseldorf. Sein Chef Paul Gredinger formulierte dafür drei Ziele – bzw. skizzierte sie beim gemeinsamen Abendessen auf Schirners Serviette: Er solle „die beste Stimmung“ in der Agentur erreichen, die GGK zur kreativsten Agentur in Deutschland machen, und drittens, als Ergänzung, nicht unbedingt Profit anstreben – sondern ggf. auch mal Kunden rausschmeißen. All das mit dem Ziel, allerbeste Werbung (ist gleich Kunst) zu machen.

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Michael Schirner

Michael Schirner, managing director of the Schirner Zang Institute of Art and Media GmbH Berlin, is creative director, artist, curator, author and professor for communication design at the University of the Arts in Bremen, the Design Academy at the Centre for Art and Media Technology (ZKM) in Karlsruhe and the Central Academy of Fine Arts Beijing, China. He studied at the University of the Visual Arts in Hamburg under Max Bill, Max Bense and Bazon Brock. In 1968, when the student movement took to the streets to protest against capitalism, Schirner went into advertising and changed the world with his communication ideas. Throughout his life, the author of the book Werbung ist Kunst (Advertising is Art), has strived to break down the boundaries between applied and free art. The creative head of the legendary GGK advertising agency in Düsseldorf, his advertising and project agency and the Institute for Art and Media is one of the most inventive and successful creative figures around today (»The Pope of advertising«). His campaigns have become a highly esteemed art from and have received awards worldwide and influenced the style of generations. Schirner is and honorary member of the Art Directors Club and a member of the Advertising Hall of Fame. The artistic work of Michael Schirner, which is shown in international museums and galleries, includes painting, photography, media art, installations and performance.  In 2010, the House of Photography in the Deichtorhallen in Hamburg presented the artist in a solo exhibition of his works from the media art series BYE BYE, which saw the further development of his well-known photographic exhibition without photos Pictures in our Minds.
 Strategien gab Schirner an seine Teams weiter. Und er ließ es die Kunden wissen bzw. fragte sie, ob sie „die tollste Werbung“ machen wollten – und „die meisten wollten mitmachen“. Ergebnisse waren Bilder und Texte, die Geschichte gemacht haben: der legendäre Schriftzug „schreIBMaschinen“ für IBM (eines der Schlüsselerlebnisse in Sachen Text der Autorin, damals circa 14 und sprachlos vor Bewunderung). Aus diesem logoartigen Schriftzug für IBM entstand eine Kampagne mit Tippfehlern, die auf die Korrekturtaste der SchreIBMaschinen verwiesen (Schweigeminute, bitte).

„Faulheit als Gestaltungsprinzip“

Weitere legendäre Werbemaßnahmen – immer auf der Basis von „Faulheit als Gestaltungsprinzip“ – entstanden unter anderem für Volkswagen und für Jägermeister. Die Fortgeschrittenen im TYPO-Publikum erinnern sich an das genial einfache Textkonzept „Ich trinke Jägermeister, weil …“, dazu der Claim „Jägermeister. Einer für alle.“ (Protagonisten waren diverse Mitarbeiter von Schirner und Leute von der Straße, die Texte deren Originalaussagen. Unter anderem suchte eine Dame auf diesem Weg einen Ehemann.)

Zwischen Bild und Text entstand bei Schirner immer eine möglichst spannende, nicht immer im allerersten Sekundenbruchteil klare Verbindung. Genau das war und ist so toll und bleibt in Erinnerung: „Taille 59. Hüfte 88. Creme 21.“

„Wir bleiben mal bei den Körperteilen“, fährt Schirner fort und zeigt unter anderem Anzeigen für Präservative, bzw. für eine AIDS-Aufklärungskampagne, mit dem immer gleichen expliziten Bildmotiv: einem ergierten Penis, auf den ein Kondom gerollt wird. Headline: „Man kommt nicht mehr ohne.“

Weniger körperlich, mehr kulinarisch-köstlich kommen die Plakate für Pfanni daher: Ein riesiger knusprig-leckerer Kartoffelpuffer springt uns an, nur die Headline wechselt von Motiv zu Motiv. (Mein Headline-Favorit, hier in der Präsentation leider nicht gezeigt: der „Panni Pfuffer“. Unvergesslich.)

Die Anzeigenserie wiederum mit der immer gleich lautenden Headline „Was man in 8 Minuten am Telefon alles sagen kann. Ihre Post.“ zeigt ganz unterschiedliche, die Doppelseite jeweils füllende Fließtexte, für die man immer etwa acht Minuten Lesezeit braucht. (Das hat sich in der Jetztzeit erstmals wieder die Baumarktkette Hornbach getraut, mit ihren grandiosen und grandios langen Fließtexten auf den Plakaten im letzten Jahr. Leider nachträglich, bei dieser Gelegenheit: Hut ab vor dem Textkollegen oder der Textkollegin, die das durchgesetzt hat. Können wir uns bitte kennenlernen? – Einschub der Autorin). – „Bald kommt Kunst“, erinnert uns Schirner, „das ist alles noch Werbung“. Fühlt sich aber nicht so an.

„Was mich interessiert, ist Geld“

S. Dalí

Für eine Kampagne, die Kunstausstellungen in Düsseldorf bewirbt, ließ Schirner Unterschriften von Künstlern in Öl malen und fügte sie zu einem Anzeigenmotiv zusammen. Diese riesig vergrößerten, gerahmten Bildunterschriften erinnern augenblicklich an das Werk oder zumindest einzelne Bildbeispiele der jeweiligen Künstler. „Wir haben mit Vorliebe auch Werbung für Kultur gemacht“, zum Beispiel für die erste große Ausstellung für moderne Kunst von Kaspar König: 20, 30 Zitate berühmter Künstler auf Plakaten und Postkarten (Beispiel: „Was mich interessiert, ist Geld“ – S. Dalí). Diese Kampagne lebt als Postkartenserie bis heute fort und dokumentiert, „was Künstler so denken und sagen“. Zu finden ist sie unter anderem in der Buchhandlung König (bei „dem Bruder“).

Jetzt wird es schon ganz schön Kunst: „Albert Einstein streckt die Zunge raus“ steht auf einem schwarzen Quadrat in weißer Schrift – und wir alle sehen das Bild. Die Textserie beschreibt Bilder, die in unserem kollektiven Gedächtnis verankert sind – und dokumentiert das Funktionieren von Erinnerung. In seiner nächsten Serie, einer Reihe Schwarz-Weiß-Fotografien, denkt Schirner dieses Prinzip konsequent weiter und zeigt Bilder, in denen die Hauptfigur, der Kern des Motivs fehlt: zum Beispiel Willy Brandt bei seinem berühmten Kniefall. Wir sehen ihn, obwohl er auf dem Bild fehlt. Er ist da, obwohl er gar nicht da ist.

Obwohl Michael Schirner (charmant, aber bestimmt) ermahnt wird, seine Redezeit einzuhalten, und keinen dramaturgisch perfekten Abschlusssatz mehr formulieren kann, ist die Botschaft klar. Und es hätte den Abschlusssatz auch gar nicht gebraucht. Im Gegenteil: Vielleicht ist es genau richtig, dass kein eigentlicher Abschluss da ist. Die Erkenntnis ist trotzdem da – oder erst recht.
Großen Respekt und vielen Dank, lieber Michael Schirner. Für alles, weit über diesen Vortrag hinaus.

Text — Sonja Knecht — Twitter @sk_txet