Michael Schirner verweist auf sein Buch „Werbung ist Kunst“, erschienen 1982. Er war 10 Jahre lang Kreativchef der Agentur GGK in Düsseldorf. Sein Chef Paul Gredinger formulierte dafür drei Ziele – bzw. skizzierte sie beim gemeinsamen Abendessen auf Schirners Serviette: Er solle „die beste Stimmung“ in der Agentur erreichen, die GGK zur kreativsten Agentur in Deutschland machen, und drittens, als Ergänzung, nicht unbedingt Profit anstreben – sondern ggf. auch mal Kunden rausschmeißen. All das mit dem Ziel, allerbeste Werbung (ist gleich Kunst) zu machen.
Michael Schirner
Weitere legendäre Werbemaßnahmen – immer auf der Basis von „Faulheit als Gestaltungsprinzip“ – entstanden unter anderem für Volkswagen und für Jägermeister. Die Fortgeschrittenen im TYPO-Publikum erinnern sich an das genial einfache Textkonzept „Ich trinke Jägermeister, weil …“, dazu der Claim „Jägermeister. Einer für alle.“ (Protagonisten waren diverse Mitarbeiter von Schirner und Leute von der Straße, die Texte deren Originalaussagen. Unter anderem suchte eine Dame auf diesem Weg einen Ehemann.)
Zwischen Bild und Text entstand bei Schirner immer eine möglichst spannende, nicht immer im allerersten Sekundenbruchteil klare Verbindung. Genau das war und ist so toll und bleibt in Erinnerung: „Taille 59. Hüfte 88. Creme 21.“
„Wir bleiben mal bei den Körperteilen“, fährt Schirner fort und zeigt unter anderem Anzeigen für Präservative, bzw. für eine AIDS-Aufklärungskampagne, mit dem immer gleichen expliziten Bildmotiv: einem ergierten Penis, auf den ein Kondom gerollt wird. Headline: „Man kommt nicht mehr ohne.“
Weniger körperlich, mehr kulinarisch-köstlich kommen die Plakate für Pfanni daher: Ein riesiger knusprig-leckerer Kartoffelpuffer springt uns an, nur die Headline wechselt von Motiv zu Motiv. (Mein Headline-Favorit, hier in der Präsentation leider nicht gezeigt: der „Panni Pfuffer“. Unvergesslich.)Die Anzeigenserie wiederum mit der immer gleich lautenden Headline „Was man in 8 Minuten am Telefon alles sagen kann. Ihre Post.“ zeigt ganz unterschiedliche, die Doppelseite jeweils füllende Fließtexte, für die man immer etwa acht Minuten Lesezeit braucht. (Das hat sich in der Jetztzeit erstmals wieder die Baumarktkette Hornbach getraut, mit ihren grandiosen und grandios langen Fließtexten auf den Plakaten im letzten Jahr. Leider nachträglich, bei dieser Gelegenheit: Hut ab vor dem Textkollegen oder der Textkollegin, die das durchgesetzt hat. Können wir uns bitte kennenlernen? – Einschub der Autorin). – „Bald kommt Kunst“, erinnert uns Schirner, „das ist alles noch Werbung“. Fühlt sich aber nicht so an.
Für eine Kampagne, die Kunstausstellungen in Düsseldorf bewirbt, ließ Schirner Unterschriften von Künstlern in Öl malen und fügte sie zu einem Anzeigenmotiv zusammen. Diese riesig vergrößerten, gerahmten Bildunterschriften erinnern augenblicklich an das Werk oder zumindest einzelne Bildbeispiele der jeweiligen Künstler. „Wir haben mit Vorliebe auch Werbung für Kultur gemacht“, zum Beispiel für die erste große Ausstellung für moderne Kunst von Kaspar König: 20, 30 Zitate berühmter Künstler auf Plakaten und Postkarten (Beispiel: „Was mich interessiert, ist Geld“ – S. Dalí). Diese Kampagne lebt als Postkartenserie bis heute fort und dokumentiert, „was Künstler so denken und sagen“. Zu finden ist sie unter anderem in der Buchhandlung König (bei „dem Bruder“).
Jetzt wird es schon ganz schön Kunst: „Albert Einstein streckt die Zunge raus“ steht auf einem schwarzen Quadrat in weißer Schrift – und wir alle sehen das Bild. Die Textserie beschreibt Bilder, die in unserem kollektiven Gedächtnis verankert sind – und dokumentiert das Funktionieren von Erinnerung. In seiner nächsten Serie, einer Reihe Schwarz-Weiß-Fotografien, denkt Schirner dieses Prinzip konsequent weiter und zeigt Bilder, in denen die Hauptfigur, der Kern des Motivs fehlt: zum Beispiel Willy Brandt bei seinem berühmten Kniefall. Wir sehen ihn, obwohl er auf dem Bild fehlt. Er ist da, obwohl er gar nicht da ist.
Obwohl Michael Schirner (charmant, aber bestimmt) ermahnt wird, seine Redezeit einzuhalten, und keinen dramaturgisch perfekten Abschlusssatz mehr formulieren kann, ist die Botschaft klar. Und es hätte den Abschlusssatz auch gar nicht gebraucht. Im Gegenteil: Vielleicht ist es genau richtig, dass kein eigentlicher Abschluss da ist. Die Erkenntnis ist trotzdem da – oder erst recht.
Großen Respekt und vielen Dank, lieber Michael Schirner. Für alles, weit über diesen Vortrag hinaus.
Text — Sonja Knecht — Twitter @sk_txet