Man könnte meinen, das Web, schließlich tendentiell schnelllebiger, lebendiger und wandelbarer, hätte diesen Sprung zur Individualisierung ebenfalls vollzogen. Anhand zahlreicher Screenshots negiert Biľak diese Schlussfolgerung allerdings schnell: Verdana und Georgia, soweit das Auge reicht. Schließlich unterlagen Webseiten lange der Beschränkung auf eine Hand voll Standardschriftarten, die 1996 von Microsoft unter dem Namen „Core Fonts for the Web“ zusammengestellt wurden; Georgia, Verdana, Comic Sans, Arial und Courier sind die bekanntesten. Diese wurden aufwendig für die Bildschirmdarstellung angepasst, so dass sie nicht wie die meisten ihrer Zeitgenossen zu Pixelbrei verschwammen. Auch heute noch sehen beispielweise viele Designer die Screen-Lesbarkeit der Georgia als unerreicht an.
Peter Biľak
Type Designer, Designer (The Hague)
Diese geringe Auswahl an Schriftarten führte unweigerlich dazu, dass so gut wie alle Webseiten typographisch ähnlich anmuteten: Georgia für Fließtext, Verdana für Überschriften. Extravagant war da schon, wer eine davon für beide Anwendungsgebiete einsetzt. Zwar ließen sich auch ausgefallenere Schriftarten bereits in Webseiten integrieren, allerdings mit zahlreichen Probleme: Webfonts, vom Server geladene Schriften, wurden von älteren Browsern nur sehr unterschiedlich und unvollständig unterstützt. Lokal auf dem Computer installierte Schriftarten sind keine Alternative, da jeder Besucher ein anders bestücktes typographisches Sammelsurium mitbringt.
Im Jahre 2009 war es dann soweit. Die Verbreitung moderner Browser war soweit gestiegen, dass man die eigentlich schon länger verfügbare, aber bis dato kaum genutzte CSS-font-face-Regel produktiv anwenden konnte: Diese erlaubt es, Schriften beim Aufruf einer Webseite vom Server automatisch mit herunterzuladen und anzuzeigen.Ab hier wurde der Vortrag deutlich technischer und Biľak nahm die Zuhörer mit auf eine Reise durch Vor- und Nachteile von Webfonts, gab einen Überblick über vorhandene Angebote, erklärte den Umgang mit dem Lizenzproblem und führte einige beeindruckende Tools seiner Typotheque vor. Der Dienst erlaubt es, bei der Wahl von Schriftarten für Webseiten aus einem großen Fundus typographischer Möglichkeiten zu schöpfen. War die Schriftwahl im Web bisher trivial, so ist der Webdesigner nun gefordert, aus tausenden von Fonts zu wählen. Schriftgestalter wiederum müssen bei der Konzeption ihrer Schriften von Beginn an die Verwendung auf dem Bildschirm beachten.
Projekte wie die Typotheque verhelfen Webfonts zu dem Boom, den wir heute erleben. Das Web ist im Begriff, 100 Jahre Printentwicklung in einem Bruchteil dieser Zeit nachzuholen, und wir als Typographen, Webdesigner und Webdeveloper befinden uns mitten in dieser Entwicklung. Das erfordert neue Denkweisen, Lösungsansätze und Werkzeuge, doch genau dieser schnelle Wandel ist schließlich das Spannende an der Arbeit mit dem Internet.In diesem Sinne: Lasst uns Georgia und Verdana endlich in die wohlverdiente Rente schicken!