Masters of the Unicode

Vorgestellt als „Gurus des Unicodes“ starteten Siri Poarangan und Johannes Bergerhausen vom Projekt decodeunicode ihren Vortrag und schon nach wenigen Minuten wurde mehr als deutlich: Selten wurde jemand einem fremdgegebenen Titel so gerecht.

© Alexander Blumhoff

© Alexander Blumhoff

In sympathisch lockerem, aber sehr profundem Stil wechselten die beiden kontinuierlich zwischen technologischen und kulturellen Aspekten des digitalen Zeichensatzes. Gespickt mit Anekdoten, kleinen Geschichten und wunderbaren Beobachtungen gelangte der geneigte Zuhörer in den Genuss eines sehr lebendigen, ungemein kurzweiligen Vortrages, der zwar mit seiner Fülle an Wissen an die Grenzen der Aufnahmefähigkeit ging, allerdings so spannend präsentiert und thematisch breit gefächert war, dass man ihn in jeder Hinsicht als Bereicherung sehen muss.

Wer den Titel zuvor im Programmheft gelesen hatte, dachte sich vielleicht zunächst, dass dies eine nerdig-langweilige Stunde werden müsse. Weit gefehlt: Mit jeder Sekunde wurde deutlich, dass die beiden Vortragenden mit Leidenschaft und ♥ bei der Sache sind und mit ihrem Projekt decodeunicode beeindruckende Arbeit leisten, um Unicode zu größerer Verbreitung, Verständlichkeit und Akzeptanz zu verhelfen. Bei Unicode handelt es sich um einen konsolidierten Zeichensatz, mit dem das Ziel verfolgt wird, alle Zeichen der gesprochenen, sowie vergangenen Sprachen digital verfügbar zu machen. Dies klingt sehr technisch-kryptisch, allerdings handelt es sich hier um die Grundvoraussetzung der digitalen Kommunikation. So werden lateinische, arabische, asiatische Schriftzeichen, Zeichen ausgestorbener Sprachen, sowie Piktogramme oder Währungssymbole in einem Zeichensatz vereint und digital festgeschrieben. Dies sind viele Zeichen. Sehr viele. Unicode 1 bot die Möglichkeit 65536 Zeichen zu speichern, mit Unicode 2 waren es schon etwas mehr als eine Million. Diese verfügbaren Plätze sind keineswegs ausgefüllt, aber ständig kommen neue Zeichen hinzu, bspw. vergangenes Jahr das Währungssymbol für die indische Rupie. Oder Hieroglyphen. Oder Keilschriftsymbole. Oder japanische Emojis.

Das decodeunicode Projekt bietet nicht nur eine Webseite, auf der man das typographische Sammelsurium durchforsten kann und auf der sich die Geschichte vieler Zeichen erfahren lässt, sondern hat außerdem ein Buch herausgegeben, das einen Großteil des Unicodes abbbildet. Ein Poster mit vielen, vielen Zeichen (51980 um genau zu sein) gibt es für wahre Liebhaber ebenfalls. Bei der Katalogisierung und Wissenssammlung zu teils sehr exotischen Symbolen setzt das Projekt auf einen kollaborativen Ansatz, ähnlich Wikipedia, an dem sich finanziell auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung beteiligt.

Den Vortrag inhaltlich wiederzugeben, würde mehrere Seiten füllen, da das Spektrum der angeschnittenen Themen ungemein reichhaltig war. Von der Vorstellung des eigenen Projektes ging es zur Feststellung, dass das Internet die Auseinandersetzung mit Lesen und Schreiben beflügelt (Gruß an die Kulturpessimisten). Es wurde über die Entstehung des Internets, frühere Zeichensätze und die nicht ganz offensichtliche Ähnlichkeit zwischen arabischer und europäischer Schrift gesprochen. Weiterhin gab es kurze Einführungen in die Hieroglyphen, Keilschrift, den Unterschied zwischen Zeichen und Glyphe, sowie Ideogramm und Piktogramm, Emojis, Probleme für Schriftgestalter durch die exponentiell gestiegene Zeichenzahl, die Ablösung von physischen Hardware-Tastaturen durch Software-Pendants und deren Einfluss auf die Erhaltung vom Aussterben bedrohter Schriftsysteme. In all dieser Euphorie über die Möglichkeiten und den eher versteckten, aber dramatischen Einfluss von Unicode auf Verständigung und kulturelle Entwicklung, wurden die Vortragenden gegen Ende fast schon wehmütig festzustellen, dass noch keine Schriftart alle Unicode-Zeichen abdeckt. Es gibt zwar Schwergewichte wie die Code 2000 mit sage und schreibe 53068 Zeichen (gefolgt von der Arial Unicode, die natürlich aufgrund ihres ungleichen Duktus’ einen Seitenhieb einstecken musste), aber ein Font für alle Zeichen ist bisher ein Wunschtraum – deshalb musste auch das zuvor schon angesprochene Unicode-Buch aus mehreren Schriftarten gepuzzelt werden.
Die Vortragenden haben es geschafft, Interesse und Aufmerksamkeit auf eine von der Allgemeinheit wenig beachtete Schattenwissenschaft zu lenken, die essentiellen Einfluss auf die Welt hat, in der wir leben. Das ist wichtig und war zudem sehr unterhaltsam präsentiert. Danke und weiter so!

Johannes Bergerhausen © Ilka Helmig

Johannes Bergerhausen

Professor of Typography and Book Design / University of Applied Science Mainz (Mainz)

Prof. Johannes Bergerhausen was born in 1965 and studied communication design. In 1993, he moved to Paris, where he worked with Grapus founders Gérard Paris-Clavel and Pierre Bernard on various projects, including the Centre Pompidou. Bergerhausen originally planned to stay in France for a year, but ended up spending seven years there, including filling a grant post at the Centre Nationale des Arts Plastiques in 1998. In 2002 he was appointed professor of typography and book design at Mainz University. In 2004 he launched decodeunicode, a project sponsored by the German Ministry of Education and Research, for which he received numerous awards. Prof. Bergerhausen has given lectures all over the world and founded the Institut Designlabor Gutenberg in Mainz in 2004. Working with Siri Poarangan, he published “decodeunicode — Die Schriftzeichen der Welt” in 2011. The book was awarded the German Designpreis der Bundesrepublik Deutschland in Gold in 2012. His latest publication “Digitale Keilschrift” deals with digital cuneiform writing. Johannes Bergerhausen is a member of ATypl.

Among Prof. Bergerhausen’s awards are the Red Dot Best of the Best, iF Award Gold, ADC Deutschland, TDC New York, Designpreis der Bundesrepublik Deutschland, Schönste Deutsche Bücher, European Design Award best of show.

Photo: Ilka Helmig

Siri Poarangan

Siri Poarangan

Siri Poarangan, born in 1976, studied communication design with a focus on corporate design and book design at the Technical College of Mainz/Germany. After having worked as an art director with Sign Kommunikation in Frankfurt upon Main and as a scientific assistant at FH Mainz, she became a design director of MetaDesign in Berlin in 2005. There she worked for Volkswagen, Fonic, Staatliche Museen zu Berlin and other clients. Siri Poarangan has been awarded numerous prizes for her works. Since 2011 she has been living in Düsseldorf, where she is the creative director of the design team of Peter Schmidt Group.