Lars Müller: Angemessene Gestaltung

„Ich mag das Wort nicht mehr hören … diesen der Forstwirtschaft entnommenen Begriff der Nachhaltigkeit, der Fetisch und Komplize eines schlechten Gewissens ist“. Mit diesen Worten leitet Lars Müller seinen Vortrag zum Ende des ersten TYPO-Tages ein. Nachhaltigkeit im kleinen, im persönlichen Alltag in der Form nicht greifbar, wenn man beispielsweise für jedes Buch das man produziert, einen neuen Baum pflanzen müsste. Für ihn anstrengend und fast unmöglich.

Foto © Gerhard Kassner

Wie sieht es mit Gestaltung und Nachhaltigkeit aus? Heute kämpfen Gestalter ums Überleben. Design ist zu einer schlecht bezahlten Dienstleistung geworden, „das war früher anders“, sagt er. Anfangen zu Denken und damit die Kommunikation als großes Ganzes zu betrachten würde einen wahren Mehrwert schaffen. Bücher sind für ihn in jeder Beziehung nachhaltig. Vor allem im Vergleich zu den neuen digitalen Medien, die acht Prozent unseres Gesamtenergiebedarfs abdecken, ist das Buch besonders ökologisch. Neue Medien sind nach Lars Müller „unverbindliche und schnelllebige Schwarmintelligenzen“ ohne Mehrwert und Konsistenz.


In einem Rückblick in die 70er Jahre zeigt er die Anfänge seiner Arbeiten, die teilweise naiv aber nach seinen Worten „ehrlich“ gestaltet wurden. Seine Kunden waren Biobauern, Kulturradios und Weinhändler. 1982 gründete er seinen Verlag Lars Müller Publishers ohne jegliche politische Hintergründe. Eines der ersten Buchprojekte, die gute form von Max Bill, wurde noch weitestgehend analog durch Handskizzen, Bildmontagen durch Negativfilme und Handsatz produziert. Vorbilder und zugleich Freunde in sachlicher und konstruktivistischer Gestaltung waren damals Josef Müller-Brockmann und Paul Lohse. Zu dieser Zeit entdeckte Lars Müller die Kraft des Visual Reading, die Bildlektüre initiiert das Nachlesen in kleineren oder längeren Texten. Das Bild wird nicht als Illustration des Textes begriffen, sondern als visuelle Sprache, mit der sich der Leser orientiert.

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Lars Müller

His early years as a designer were seminally influenced by his close friendship with the constructivist artist Richard Paul Lohse and the graphic designer Josef Müller-Brockmann. This has led to Müllerʼs long-standing preference for straightforward, functional design. Since 1996, Müller has been a partner of »Integral Concept«, an interdisciplinary design group active in Paris, Milan, Zürich, Berlin, and Montreal. In »Integral« Lars Müller designs visual identities for NGOs and institutions focused on cultural, social, and ecological concerns, as well as acting as a consultant in communication. In 1983 Müller started publishing books on typography, design, art, photography, and architecture and, as Lars Müller Publishers, has so far produced some 400 titles. Recently, he has branched out into visually oriented books on social issues, such as human rights and ecology. Many books are initiated and published by Müller himself and most of them have been designed in his own studio. A passionate educator, Lars Müller has taught at various universities in Switzerland and elsewhere in Europe. In his lectures he calls for a political consciousness and a sense of social responsibility among designers. He has been a guest lecturer at Harvard's Graduate School of Design since 2009.
Heute, gut 30 Jahre später steht er noch immer zu diesem Ansatz und verfolgt in einer gesellschaftsthematischen Buchreihe den Ansatz des Visual reading. Mensch Klima!, Das Bild der Menschenrechte und Wem gehört das Wasser? sind visuelle Bücher, die den Leser zum eintauchen in tiefere Lektüre bewegen sollen. Seine Gestaltung hat hierbei das Ziel, nicht wahrgenommen zu werden, sondern selbstverständlich zu wirken. Lars Müller sieht heute viele “kaputt-gestaltete” Bücher. Für ihn ist gute Gestaltung in erster Linie angemessen. Schlussworte und alles zusammenfassendes Fazit: „Nachhaltigkeit ist nicht Ziel, sondern Folge unseres Tuns“.

Autorin: Christine Lange